New Work in der Praxis: Ein Erfahrungsbericht

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Mein Homeoffice ist sehr übersichtlich: Alles spielt sich auf 3,6qm ab. Zum Glück komme ich also schon im Liegen an die kleine Espressokanne und muss mich zum Frühstück machen nur aufrichten. Dafür ist der Garten schön groß: 457 Quadratkilometer Auslauf habe ich.

Heute steht wieder viel auf der Agenda: Wäsche waschen, Wasser filtern, Rucksack packen. 17km und 1200 Höhenmeter laufen, über zwei Pässe und einen Gipfel, vorbei an mindestens 4 Seen und über gefühlte 27 Geröllfelder. Intensive Meetings mit Schafen, Murmeltieren und Kühen.

Denn an diesem „Arbeitstag“, wie auch an jedem anderen der vergangenen zwei Monate, lief ich auf der Haute Route Pyrenéenne durch die Bergwelt des französisch-spanischen Grenzgebirges.

Mein Arbeitsalltag ist nicht langweilig, mein Arbeitsjahr 2022 bietet jetzt bereits sehr viel zu erzählen. Den Januar verbrachte ich als workation auf dem Bauernhof von Bekannten im winterlichen Polen. Im Frühjahr pflegte ich eine Fernbeziehung, besuchte quer durch Deutschland verteilte Freund:innen und verlegte dafür regelmäßig freitags oder montags meinen Arbeitsort in fremde Wohnküchen.
Mein vorsichtiges Nachfragen bei der Geschäftsführung, ob das jeweils vielleicht möglich wäre, wurde mit einem virtuellen Achselzucken quittiert: „Ganz ehrlich, das ist mir wurscht, von wo du arbeitest. Spätestens seit Corona haben wir das ja wohl alle gelernt.“

Im Juli und August lief ich dann also in zwei Sabbatmonaten vom Atlantik zum Mittelmeer, von einem solchen thru hike hatte ich schon lange geträumt. Als ich damals den Wunsch äußerte, für das sommerliche Wanderprojekt eine längere Auszeit zu nehmen, rief die Personalchefin extra beim Lohnsteuerbüro an um zu klären, wie sich dieses Vorhaben bestmöglich und in meinem Sinne rechtskonform regeln ließe. Über reguläre Urlaubstage, Überstundenausgleich und unbezahlten Urlaub war ich letztlich „einfach so“ 9 Wochen weg. Meine laufenden Projekte durfte ich dazu mit einer großen Selbstverständlichkeit meinen Kolleg:innen übergeben. Ich konnte mich vom Acker machen, und wusste zwei Dinge ganz genau:

  1. Ich bin im besten Sinne ersetzbar, und
  2. darum werde ich aber dennoch nicht ersetzt.

Denn mir war klar: bei meiner Rückkunft wartet auf mich eine vielleicht veränderte Jobbeschreibung und neue Aufgabenbereiche (das gibt das Projektgeschäft, eine agile Branche und aufgeweckte Kund*innen nun mal so vor), mein Arbeitsplatz ist aber sicher.

New Work ist ein schönes glänzendes Schlagwort. Was bedeutet es für mich?

Es bedeutet, dass ich die technischen, organisatorischen und vertraglichen Möglichkeiten habe, örtlich und zeitlich flexibel zu arbeiten. Dass es Normalität ist, morgens nicht ins Büro zu fahren, wenn ich das so will. Meine Arbeit von zu Hause aus zu erledigen – oder aber meinen Arbeitsort irgendwo hin zu verlagern, wo es eben Internet gibt.

Es geht aber weit darüber hinaus – oder vielmehr tiefer. Denn was darunter liegt ist ein bestimmtes Menschenbild und eine damit verbundene Haltung, ein Werteverständnis von unserer Zusammenarbeit. Wer bin ich in dieser Firma? Ich bin ein wertvolles Mitglied, ich werde geschätzt für meine Fähigkeiten, meine Stärken werden gefördert und gefordert, meine Bedürfnisse und Wünsche ernst genommen. Von der Geschäftsführung unterscheidet mich nicht die Hierarchie, sondern die Rolle – wir zählen gleich viel in unseren Kompetenzen. Meine Leistung wird gewürdigt, und honoriert durch Vertrauen: ob ich daheim im stillen Kämmerlein, mitten in der verschneiten polnischen Einsamkeit oder aus der Wohnküche einer Freundin heraus meinen Job auch wirklich erledige oder nur Däumchen drehe, wurde hier noch niemals auch nur ansatzweise angezweifelt. Keine:r meiner Kolleg:innen hat mir auch nur im Geringsten das Gefühl gegeben, ihnen mit meinem egoistischen Wunsch nach zwei Monaten Pause meine Arbeit aufzuhalsen. Stattdessen folgten sie mir alle über meinen Reiseblog, kommentierten fleißig, fieberten mit, feierten meine Fortschritte auf der Route und die Ankunft am Mittelmeer. Und natürlich würde ich ohne mit der Wimper zu zucken dasselbe für jedes Teammitglied übernehmen.

Ich bin ehrlich: als ich vor einigen Jahren beschloss, aus dem sozialpädagogischen Non-Profit Bereich in die freie Wirtschaft zu wechseln – „um mir das nur mal anzuschauen“ – hatte ich viele Vorurteile und Zweifel. Da verbrennen sich Menschen für Geld, da steht Profit an erster Stelle, da gelten nur teure Uhren und der Jahresbonus, da wird verkauft um jeden Preis. Sabbat-Monate für Outdoor-Abenteuer, das war für mich etwas, was wenn dann allerhöchstens nur in besonders coolen Unternehmen in Ausnahmefällen möglich wäre (im Treppenhaus von großen Outdoorsport-Ausstattern hängen zum Beispiel viele schöne Abenteuer-Bilder von Mitarbeitenden an den Wänden).

Und natürlich gibt es wie in jedem Job auch Tätigkeiten und Aspekte des daily business, die keinen Spaß machen, und natürlich frage auch ich mich alle paar Monate mal, was ich denn eigentlich sonst so machen könnte, wenn ich nicht für upDATE arbeitete. Aber: ich bin noch hier und entscheide mich immer wieder dafür genau diese Arbeit zu machen, weil hier täglich aufs Neue meine Vorurteile von damals entkräftet und widerlegt werden.

Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung als Mitarbeiterin bestätigen: diese Art des Arbeitens motiviert mich immer wieder die gewisse extra Meile zu gehen für unsere Kund:innen, lässt meine Loyalität gegenüber den Firmeninteressen immer weiter wachsen und macht mich solidarisch mit meinem Team. Natürlich sind nicht alle meine genannten New Work Freiheiten in jeder Branche, bei jeder Firmengröße und in jedem Job 1:1 so umsetzbar. Mal abgesehen davon, dass auch nicht jede:r das Bedürfnis hat, 9 Wochen lang 800km und 40.000 Höhenmeter rauf- und runterzulaufen. Ich bin aber überzeugt, dass es überall Spielräume gibt, die uns allen das Lohnarbeitsleben erleichtern und es freudvoller gestalten können. Prüfen Sie also was möglich ist im Sinne Ihrer Mitarbeitenden, prüfen Sie was Sie als Mitarbeitende sich wünschen und fordern Sie es ein.

Und so komme ich nun nach gut zwei Monaten gerne wieder zurück, und werde herzlichst willkommen geheißen. Statt mit den Murmeltieren und Schafen und mir selbst unterhalte ich mich nun wieder mit meinen Kolleg:innen (und weiter mit mir selbst).
Wenn nun frühmorgens der Wecker klingelt und ich statt Bergsee und Sonnenaufgang die Häuserschluchten der Innenstadt vor mir habe, wenn ich die weite Sicht der Berge gegen den Blick in den Laptop und die Wanderstöcke gegen Maus und Tastatur tausche – dann fällt das natürlich schwer. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde mir lacht dabei das Herz. Aber ich freue mich tatsächlich auf meine Aufgaben hier und ich bin fröhlich, weil das Lachen des Teams schon morgens durch den virtuellen Meetingraum schallt. Bei all den großen Fragen, die einem auf einer solchen langen Wanderung begegnen habe ich nicht in Frage gestellt, hierher zurückzukommen.

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